An einem kalten, grauen Wintertag in Warschau sollte eine einfache Geste der Demut eines Mannes den Tauprozess in Gang setzen, unter dem in späteren Jahren die DDR, der Eiserne Vorhang und letztendlich die Sowjetunion selbst dahinschmelzen sollten. Der Name dieses Mannes: Willy Brandt, der vierte Bundeskanzler der jungen Bundesrepublik. Brandt war von 1969 bis 1974 Regierungschef einer sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP. Unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ setzte Brandt mit seiner neuen Ostpolitik eine Zäsur im aufgeheizten Klima des Kalten Krieges. Seine Ostverträge schlugen einen Kurs der Entspannung und des Ausgleichs mit der Sowjetunion, der DDR, den Ostblockstaaten, insbesondere Polen, ein, der Brandt zum Friedensnobelpreisträger machen sollte.
Ohne die Bemühungen Brandts würden unser heutiges Deutschland und Europa ganz anders aussehen. Darum ist es kaum verwunderlich, dass der Moment, welcher der Welt die innere Größe dieses Mannes vor Augen führte, als deutsche Gedenkmünze von der Bundesrepublik zum 50. Jahrestag des „Kniefalls“ verewigt wurde. Es handelt sich bei dieser Münze um eine 2 Euro-Umlaufmünze mit Gedenkcharakter. Das Motiv der Bildseite wurde vom Künstler Bodo Broschat aus Berlin entworfen. Es stellt Brandt vor dem „Denkmal der Helden des Ghettos“, das zu Ehren des Aufstands im jüdischen Ghetto Warschaus gegen die nationalsozialistischen Besatzer errichtet wurde, dar. Der Münzentwurf ist in äußerst feiner Relieftechnik gearbeitet und zeigt Ausschnitte des Mahnmals (eine jüdische Menora, das Relief der mutigen Aufständischen des Ghettos) und den knieenden Willy Brandt von hinten, samt Kranz.
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Numismatische Daten 2 Euro BRD 2020 50 Jahre Kniefall
- Prägestätten: ADFGJ
- Ausgabetermin: 7. Oktober 2020
- Entwurf des Münzbildes: Bodo Broschat, Berlin
- Geplante Auflage: 30 Millionen
Zu der Person „Willy Brandt“
Um die Person „Willy Brandt“ – und was ihn antrieb – zu verstehen, bleibt es nicht aus, sich mit seinem bewegten Werdegang auseinanderzusetzen. Willy Brandt wurde als Herbert Frahm am 18. Dezember 1913 in Lübeck als uneheliches Kind einer Arbeiterfamilie geboren. Dieser Umstand wurde von manchen Zeitgenossen als Makel angesehen und von politischen Gegnern selbst noch in der Zeit der Bundesrepublik benutzt, um ihn zu diffamieren. Zu seiner Mutter hatte Brandt ein distanziertes Verhältnis, da diese berufstätig war und ihn unter der Woche durch eine Nachbarin versorgen ließ. In seinen Memoiren bezeichnete Brandt seine Familienverhältnisse oft als „chaotisch“.
Ab 1919 übernahm Herbert Frahms Stiefgroßvater Ludwig Frahm seine Betreuung und baute ein sehr enges Verhältnis zu dem Jungen auf, der seine Mutter von da an nur noch sporadisch sah. Herbert Frahms späteres Interesse für Politik ist auf seinen Stiefgroßvater zurückzuführen, welcher der SPD angehörte und auch für politische Ämter kandidierte. Herbert Frahm selbst war Mitglied diverser sozialistischer Jugendvereinigungen und begann, sich publizistisch zu betätigen, unter anderem für den „Lübecker Volksboten“. 1930 trat er der SPD bei, brach mit dieser jedoch schon nach nur einem Jahr, da sie ihm zu konformistisch war. Stattdessen schloss sich Frahm der „Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands“, kurz SAPD, an.
Nach der Machtergreifung Hitlers wurde die SAPD verboten und viele Mitglieder, darunter auch Frahm, leisteten aus dem Untergrund Widerstand. Im März 1933 sollte er die Flucht eines hochrangigen Mitglieds der SAPD-Führungsriege nach Norwegen organisieren. Die Flucht schlug fehl und Frahm übernahm die Aufgabe des festgenommenen Führungsmitglieds in Oslo. Zu dieser Zeit nahm Herbert Frahm auch den Kampfnamen „Willy Brandt“ an, den er sein Leben lang beibehielt. In Oslo begann Brandt für norwegische Zeitungen zu schreiben und sich massiv politisch zu betätigen.
1937 wurde er Berichterstatter im spanischen Bürgerkrieg und unterstütze den Kampf gegen General Franco. Er entging nur knapp einer Verhaftung und kehrte nach Oslo zurück. Während der deutschen Besetzung Norwegens im Zweiten Weltkrieg geriet er vorübergehend in deutsche Gefangenschaft, konnte jedoch nach Schweden fliehen. Dort gründete er zusammen mit anderen norwegischen Exil-Journalisten eine Presseagentur. Bis zum Ende des Krieges blieb er in Stockholm, wo er mit vielen Persönlichkeiten der europäischen Linken zusammenarbeitete.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte er als Korrespondent für skandinavische Zeitungen nach Deutschland zurück, um über die Kriegsverbrecherprozesse in Nürnberg zu berichten. Im Auftrag des norwegischen Außenministers begab er sich schließlich als Presseattaché nach Berlin. Dort begann er seine Politikkarriere in der SPD, unter anderem als Parlamentspräsident und regierender Bürgermeister. Seine konsequente Haltung während der zweiten Berlin-Krise und des Mauerbaus sorgte für großen Zuspruch der Berliner Bevölkerung. Bei der Bundestagswahl 1961 trat Brandt erstmals als Kanzlerkandidat der SPD gegen Konrad Adenauer an. 1962 übernahm er den stellvertretenden Parteivorsitz und wurde 1964 Bundesvorsitzender. Bei der Bundestagswahl 1965 kandidierte er erneut als SPD-Spitzenkandidat, unterlag aber Bundeskanzler Ludwig Erhard. Nach Erhards Rücktritt am 1. Dezember 1966 wurde Kurt Georg Kiesinger zum Bundeskanzler gewählt, der eine Große Koalition mit der SPD bildete. Willy Brandt übernahm das Amt des Außenministers und wurde Stellvertreter des Bundeskanzlers.
Nach der Bundestagswahl im September 1969 bildete Willy Brandt eine Koalition aus SPD und FDP und wurde zum vierten Bundeskanzler der Bundesrepublik – er sollte das Amt bis 1974 innehaben. Am 7. Dezember 1970 kam es dann zu dem Ereignis, das Brandt schließlich zu einer Ikone der deutschen Nachkriegsgeschichte machte: Die Unterzeichnung des Warschauer Vertrags, der die Oder-Neiße-Grenze offiziell anerkennen sollte und im Zuge dessen zum symbolträchtigen „Kniefall von Warschau“ wurde, welcher weltweit für Aufsehen sorgte.
Die Deutschen Kriegsverbrechen und das schwierige Verhältnis zu Polen nach 1945
Das deutsch-polnische Verhältnis war nach dem Zweiten Weltkrieg bis auf das Äußerste belastet. Das Naziregime hatte in Polen besonders brutal gewütet, furchtbare Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung verübt und schwerste Kriegsverbrechen begangen. Noch während des Polenfeldzugs begann das NS-Regime mit gezielten Massenmorden an den polnischen Zivilisten, denen etwa 60.000 polnische Staatsbürger zum Opfer fielen, und vernichteten fast die gesamte jüdische Bevölkerung, die über das Warschauer Ghetto in die Vernichtungslager transportiert wurden.
Die Brutalität der Besatzer und die Deportierungen führte zu einem letzten, verzweifelten Aufstand der Ghettogefangenen. Die völlig unzureichend bewaffneten Menschen erhoben sich am 19. April 1943 unter Leitung diverser jüdischer Kampforganisationen und lieferten sich mit der deutschen Besatzungsmacht wochenlang erbitterte Gefechte. Der Aufstand wurde auf das Brutalste niedergeschlagen und endete mit der völligen Vernichtung des Ghettos und der Sprengung der großen Synagoge von Warschau durch deutsche Truppen. Das Denkmal der Helden des Ghettos wurde zum Gedenken des Aufstands im Warschauer Ghetto errichtet.
Doch auch von deutscher Seite gab es anklagende Worte gegen Polen. Nach dem Untergang des Naziregimes legten die Potsdamer Verträge die Oder-Neiße-Grenze als Grenze zwischen Deutschland und Polen fest. Dies bedeutete für viele Deutsche, dass sie nun auf polnischem Gebiet lebten. Ab 1945 begann Polen, die deutsche Bevölkerung aus ihrem Staatsgebiet zu vertreiben. Auf der Flucht starben viele vor Hunger und Erschöpfung. Die Vertriebenen besaßen im Nachkriegsdeutschland einen durchaus gewichtigen politischen Einfluss und die deutschen Vertriebenenverbände forderten, dass die ehemals deutschen Gebiete zurückgegeben und Polen für die Verbrechen während der Vertreibung zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Weiterhin zählte Polen zu den Ostblockstaaten und die Bundesrepublik Deutschland war Teil des Westens. Die Kubakrise war gerade mal 8 Jahre her und die Großmächte USA und UdSSR befanden sich mitten im Kalten Krieg.
Schon in den 1950er Jahren wurden von polnischer Seite erste Vorstöße zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen unternommen. Die Bundesrepublik ging darauf allerdings nicht ein. 1963 versuchte die deutsche Regierung Handelsbeziehungen aufzubauen. Polen machte alle Vereinbarungen allerdings von der Klärung der Grenzfragen abhängig. Im Jahr 1969 strebte Władysław Gomułka, der Parteichef der „Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei“, Verhandlungen über die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze an. Bald nach der Übernahme der Regierung durch das Kabinett Brandt begannen rasch Verhandlungen mit Polen und der Sowjetunion. Ab Februar 1970 fanden in Warschau mehrere Gesprächsrunden statt, die in der Unterzeichnung des Warschauer Vertrags am 7. Dezember 1970 gipfelten.
Das Denkmal der Helden des Ghettos
1947 wurde vom jüdischen Bildhauer Nathan Rappaport das heutige Ehrenmal entworfen, das die Stelle eines früheren Mahnmals einnahm, welches 1946 inmitten der Trümmer des völlig zerstörten Ghettos errichtet worden war. Es handelte sich dabei um eine runde Steinplatte nach dem Entwurf des Architekten Leon Marek Suzin. Das zweite Denkmal wurde aus schwedischen Labradorit-Blöcken gehauen, die von Reichsminister Albert Speer ursprünglich zur Errichtung eines Siegesdenkmals gedacht waren.
Das Denkmal besteht aus einer elf Meter hohen Stele mit einer bronzenen Skulpturengruppe in der Mitte, flankiert von zwei bronzenen Menora. Die zentrale Figur stellt Mordechaj Anielewicz, den Anführer der „Jüdischen Kampforganisation“ im Warschauer Ghetto, dar. Auf der Rückseite der Stele befindet sich ein Relief, das den Zug der Holocaustopfer zeigt.
Der „Kniefall von Warschau“ und seine herausragende Bedeutung
„Am Abgrund der Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt.“ – Willy Brandt
Mit diesem Satz beschreibt Brandt in seinen „Erinnerungen“, was ihm durch den Kopf ging, als er am 7. Dezember im Zuge seines Aufenthalts in Warschau das Denkmal der Helden des Ghettos besuchte. Teil des zeremoniellen Programms vor der offiziellen Unterzeichnung sollte die Niederlegung eines Trauerkranzes aus weißen Nelken am Mahnmal sein. Der Tag selbst war dem Anlass angemessen – kalt, grau und frostig. Die polnischen und deutschen Delegationen hatten nur das Nötigste besprochen, zu tief war der Graben, den die Gräueltaten des Nazi-Regimes gerissen hatten. Brandt war der erste Bundeskanzler nach Kriegsende, der Polen besuchte. Es war ein historischer Moment, der viele Vertreter der internationalen Presse angezogen und die Augen der Welt auf Warschau gerichtet hatte.
Umgeben von Journalisten, Politkern und Fotografen schritt Brandt zu dem Denkmal, an dem der Kranz niedergelegt worden war. Er beugte sich vor, zupfte die Schleife zurecht. Mit versteinerter Miene betrachtete er die Blüten. Dann geschah es: Willy Brandt fiel auf die Knie. Die Menschenmenge verstummte schlagartig, einzig die Auslöser der Kameras durchbrachen im Sekundentakt die Stille. Brandt verharrte demütig kniend und es scheint eine Ewigkeit, bis sich der Kanzler wieder erhebt – 30 Sekunden, die Geschichte schreiben sollte. Es ist eine Geste, mit der er für sein Land um Vergebung für die Verbrechen der Deutschen im Zweiten Weltkrieg bittet.
Die Fotos, die in jenem Moment geschossen wurden, verbreiteten sich wie ein Lauffeuer um die Welt. International wurde Brandt dafür viel Respekt entgegengebracht. In Deutschland allerdings stieß sie auch auf Ablehnung, speziell aus den Kreisen der CDU/CSU. Laut Umfragen empfanden 48 Prozent der damaligen Bewohner der Bundesrepublik die Geste als übertrieben.
Die Geschichte allerdings bewertet den Kniefall eindeutig: Als Schlüsselmoment, der das zerrüttete Verhältnis zwischen Ost und West einschneidend veränderte und so den Grundstein für unser heutiges Europa legte.
Zu den 2 Euro-Umlaufmünzen mit Gedenkcharakter
Bei diesen besonderen Varianten der Euro-Münzen ist die gängige Motivseite durch eine abweichende, nationale Darstellung ersetzt. Nominal betrachtet, besteht zwischen den herkömmlichen 2 Euro-Umlaufmünzen, die jeder im Geldbeutel hat, und den sogenannten „Umlaufmünzen mit Gedenkcharakter“ kein Unterschied. Sie werden wie herkömmliche Umlaufmünzen auch in großer Stückzahl geprägt und sind in allen Teilnehmerstaaten der Eurozone gängiges Zahlungsmittel. Sie stellen quasi eine Sonderausgabe dar.
Die Gestaltung und Ausgabe der Münzen erfolgen durch die jeweiligen Länder der Eurozone. Beabsichtigt ein Land, eine 2 Euro-Gedenkmünze herauszubringen, muss es die Europäische Kommission drei Monate vor dem geplanten Ausgabedatum über dieses Vorhaben informieren.
Die 2 Euro-Sonderausgaben werden oft zum Jahrestag historischer Ereignisse oder Epochen sowie zur Ehrung bedeutsamer Kulturgüter, Bauwerke und Personen herausgebracht. Besonders die 2 Euro-Münze eignet sich aufgrund ihrer Größe, technischen Merkmale und Fälschungssicherheit besonders gut für solche Gedenkausgaben. Ende 2018 wurden bereits 266 verschiedene 2 Euro-Gedenkmünzen europaweit geprägt. Mittlerweile sind sie ein beliebtes Sammelgebiet geworden.